Ein starker Vagusnerv für starke Verbindungen und Vertrauen

In Verbindung Sein ist das, was uns Menschen aus macht. Das haben wir mit allen Säugetieren gemeinsam. Wir brauchen unsere Herde, wir brauchen den Schutz und die Geborgenheit unserer Herde, um uns sicher zu fühlen. Nur wenn wir uns sicher fühlen, kann sich unser Nervensystem entspannen.

Ein entspanntes oder besser gesagt ein ausgeglichenes Nervensystem ist maßgeblich für unsere Gesundheit und Wohlbefinden.

Die Polyvagaltheorie und der vordere Vagusnerv

“Ui, was für ein komplizierter Name”, magst du evtl. denken. Nun, ganz so leicht ist weder der Name, noch die Theorie dahinter. Doch es lohnt sich, sich mit ihr näher zu beschäftigen.

Die Polyvagaltheorie wurde 1996 von dem amerikanischen Wissenschaftler Stephen Porges vorgestellt und seitdem umfangreich weiter erforscht und in den verschiedensten therapeutischen Bereichen praktisch erprobt.

Der Schwerpunkt der Polyvagaltheorie liegt auf den Zusammenhängen von autonomen Nervensystem, Emotionen und Verhalten. Eine besondere Rolle spielt hierbei der vordere Vagusnerv.  Es gibt also einen vorderen und einen hinteren Teil des Vagusnervs. Der Vagus selbst zählt zum parasympatischen Teil unseres vegetativen Nervensystems.

Der vordere Vagus ist unser Verbindungsnerv. Hierhin gehören die positiven Emotionen, wie Freude, Zufriedenheit und Liebe, hier findet die Verbindung zu anderen Menschen statt. Dieser entwicklungsgeschichtliche jüngere Anteil des Vagus hat vor allem eine beruhigende, dämpfende Wirkung und fördert Ruhe und Erholung.

Die Verbundenheit (Zusammenarbeit oder Zusammenleben) mit anderen (das Herdengefühl!) verbessert meist unsere Überlebenschancen.

Rückzug und Schock anstelle von Verbundenheit

Vollständigerweise sei hier noch die Bedeutung des entwicklungsgeschichtlich älteren Anteils, der hintere Vagus erwähnt. Er schaltet sich immer dann ein, wenn die alltägliche Grundregulation aufgrund einer extremen Notfallsituation nicht mehr funktioniert.

Fällt bei einer Bedrohung die erste Option “Fliehen oder Kämpfen” (hierfür ist der Sympathikus zuständig) weg, springt der hintere Vagus an. Wenn dies geschieht wird alles still gelegt. Körperliche und seelische Traumata können eine solche Reaktion auslösen.

Die Aktivierung des hinteren Vagus begünstigt Gefühle von Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Apathie und äußert sich als Rückzug und Abschalten. Dieser Zustand kann als „Immobilisierung durch Angst“ beschrieben werden. [1]

 Säugetiere reagieren dann mit Lähmung, Sich-Totstellen, In-Ohnmacht-Fallen bis hin zur Entleerung von Magen und Darm.

Man „erstarrt vor Schreck“, „ist gelähmt vor Schreck“ oder man befindet sich in „Schockstarre“.

Auf die Herde übertragen bedeutet dies: Wenn die Nervensysteme von Säugetieren über einen langen Zeitraum lebensbedrohlichem Stress ausgesetzt sind, führt dies zu den unterschiedlichsten Krankheiten auf seelischer und körperlicher Ebene.
Wenn die Herde getrennt wird oder einzelne Mitglieder den Anschluss an die Herde verlieren, führt dies zwangsläufig zum Tod. Und wenn nicht zum Tod, dann zu Verwirrung, Panik oder einem Zustand, der  einem langandauernden Schock gleicht. D. h., sie ziehen sich komplett aus allem raus und laufen “kopflos” herum. Sie sind dann wie abgeschaltet.

Bindungsverlust

Halten all diese Zustände längere Zeit an, weil die Herde nicht mehr zusammenfinden kann oder ständige Gefahr droht, führt dies zu einem massiven Kontakt- oder Bindungsverlust nicht nur zu den anderen, auch zu sich selbst.

Auf uns Menschen bezogen heißt das, wir fühlen uns und unsere Bedürfnisse nicht mehr. Uns fehlt der Kontakt zu unserem Körper, wir vertrauen unserer Intuition nicht mehr und geben unsere Macht an andere ab. Unsicherheit ist tief in unserem System veränkert und wir glauben, dass andere besser wissen, was für uns gut ist.

Es muss übrigens nicht immer ein schlimmes Trauma passiert sein, was zu einer starken dauerhaften Aktivierung des hinteren Vagusnervs und dadurch zu einer “Abschaltung” unseres Verbindungsnerv (vorderes Vagus) führt. Es gibt wahrscheinlich fast niemanden von uns menschlichen Säugetieren, der oder die nicht schon ein- oder mehrmal aus der Herde “verstossen” wurde.

Von Kleinauf wollen und müssen wir dazugehören, um uns sicher zu fühlen. Dafür tun wir vor allem in unserer Kindheit alles. Wir verleugnen unsere wahre Größe, unseren unendlich freien Geist, unsere Kreativität, unsere Neugier und unsere Freude am Spielen. Denn damit sind wir der Herde häufig zu viel, zu anstrengend, zu laut, zu ekstatisch. Ein freier Geist, der in eine Herde hineingeboren wird, die ein unteres Energieniveau und feste, eingefahrene Strukturen für “normal” hält, die sich über Jahrhunderte an die “Normen” der großen Herde angepasst hat, weil sie dazugehören wollte.

Stärkung des vorderen Vagus

Die Nervenbahnen des vorderen Vagus verlaufen ganz grob gesagt im vorderen Bereich von Hals und Gesicht. Sie versorgen unsere Sinnesorgane (Sehen, riechen, hören, sprechen).

  • Die einfachste und effektivste Art ist Atmen. Tiefes Atmen mit einer verlängerten Ausatmung stärkt den vorderen Vagus und hemmt einen durch Stress überreizten Sympathikus. Mit der Atmung haben wir ein geniales Werkzeug, um unser Nervensystem zu regulieren, uns zu entspannen und uns wieder mit dem Körper zu verbinden. Wann immer du merkst, dass du zu sehr in deinem Kopf bist und dich in Endlos-Gedanken-Schleifen verlierst, lege deine Hände auf deinen Brustkorb und nimm ein paar ganz bewusste Atemzüge. Fühle die Bewegungen deines Körpers, die durch die Atmung entstehen. Fühle deinen Körper. Achte auf die Atmung, nimm wahr! Nicht umsonst wird in der buddhistischen Tradition der Atem als Anker bezeichnet.
    • Hier sei auch das herzkohärente Atmen erwähnt. Mehr zu diesem Thema findest du hier.
  • Singen, Summen, Brummen – am besten noch in Verbindung mit einer bewussten und vertieften Atmung
    • Gemeinsames Singen verbindet uns und stärkt unser Zugehörigkeitsgefühl. Jeder, der schon einmal in einem Chor oder in Gemeinschaft mit anderen gesungen hat, kennt das entspannte Gefühl von Verbundenheit und Freude.
    • Gähnen ist übrigens häufig ein Phänomen, was ich in meiner aktiven Zeit als Sängerin im Chor immer wieder erfahren habe. Durch die Stimmübungen wurde der Reiz zum Gähnen aktiviert. Gähnen ist immer ein gutes Zeichen, dass der vordere Vagus aktiv ist und bedeutet nicht immer zwangsläufig, dass wir müde sind.
    • Die Mutter stärkt die Bindung zu ihrem Kind, in dem sie im Einschlaflieder vorsingt.
  • Gurgeln für einige Minuten. Wenn hierbei spontan Tränen laufen, ist das ein gutes Zeichen, dass der vordere Vagus wieder aktiver wird.
  • Kalt duschen – am besten am Ende 1 Minute mit richtig kaltem Wasser abbrausen, evtl. mit ein paar Sekunden beginnen und dann langsam steigern.
  • Mit anderen Menschen zusammen und in Verbindung sein! Kommunikation, Umarmungen, gemeinsames Lachen, kuscheln, spielen stärken den vorderen Vagus und natürlich auch die Verbindung zur Herde. Ich schreibe das hier und heute ganz bewusst, denn ein gut reguliertes Nervensystem und das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit durch die Herde ist von zentraler Bedeutung für ein intaktes Immunsystem!

Noch ein paar ergänzende Worte zu Verbundenheit

Wenn die alte Herde dir nicht mehr die nötige Sicherheit gibt oder du erkennst, dass sie dir nur eine scheinbare Sicherheit vorgegaukelt hat, ist es deine Aufgabe, dir eine neue Herde, einen neuen Stamm zu suchen. Einen Stamm, der gemeinsam mit dir erforschen möchte, was noch alles möglich ist. Ein Stamm, in dem der freie Geist wirken darf und wirken wird.

Eine Herde, in dem sich all die verletzten Kinder und all die überreizten Nervensysteme entspannen und heilen dürfen. Hier dürfen wir lernen, wieder in Verbindung zu sein.

Echte Verbundenheit bedeutet auch, dass wir uns gegenseitig “aushalten”, dass wir lernen, anders mit Konflikten umzugehen, dass wir unsere Wut, unsere Ekstase und all die vielen unterschiedlichen Facetten in uns zeigen dürfen, ohne gleich zu viel zu sein und dadurch Gefahr laufen aus der Herde ausgeschlossen zu werden.

Echte Verbundenheit ist sicherlich nicht immer bequem, denn sie ist radikal ehrlich. UND sie ermöglicht uns, zu erkennen, wer wir wirklich sind und WOFÜR wir hierher gekommen sind.

Wenn du magst, dann lade ich dich von Herzen ein, mit mir und anderen wundervollen Menschen für die Zeit vom 21. Dezember bis 6. Januar zu erforschen und zu erfahren, wie sich IN VERBINDUNG SEIN anfühlt. Ich biete in dieser Zeit eine Begleitung durch die Rauhnächte an.

Lasst uns gemeinsam Brücken bauen und verbinden. Nichts wird gerade wichtiger gebraucht als das.

Und lasst uns erkennen, dass es so viel mehr gibt, was WIR tun können als das, was wir gerade tun!

Deine Ramona

[1] Vgl. „Der Selbstheilungsnerv“, Stanley Rosenberg